Zunächst fassen wir die Ziele, den Studiendesign und die Resultate der Studie zusammen (Abschnitte 1-3). Dann folgen unsere diesbezüglichen Befunde.
1. Ziele der Studie
Ziel der Studie war es, die Anzahl Schafverluste während der Alpsömmerung 2011 zu ermitteln, und herauszufinden, welche prozentualen Anteile die verschiedenen Abgangsursachen ausmachen. Anhand der Ergebnisse sollten Vorschläge für Massnahmen ausgearbeitet werden, welche geeignet sind, die Schafsverluste während der Sömmerungszeit zu reduzieren.
2. Studiendesign/Daten
Von den im Jahr 2011 schweizweit insgesamt 920 Alpbetrieben, wurden 489 für eine Teilnahme angefragt, wobei dann 277 der angeschriebenen Betriebe auswertbare Daten für die Studie lieferten. Die Alpbewirtschafter der teilnehmenden Alpen beantworteten schriftlich einen strukturierten Fragebogen. Nebst diesen schriftlichen Fragebögen fanden auch noch 15 Interviews mit Experten und zufällig ausgewählten Alpbewirtschaftern der teilnehmenden Betriebe statt, um weitere Informationen zu sammeln. Die Antworten der Fragebogen/Interviews dienten den Studienautoren als Datengrundlage.
Die 277 für die Studie berücksichtigten Betriebe von den schweizweit total 920 Betrieben sömmerten 90’878 Schafe, von schweizweit total 209’000 gesömmerten Schafen. Die durchschnittliche Anzahl Schafe pro Studienalp betrug somit 328 Schafe, gegenüber den nicht teilnehmenden Alpen mit durchschnittlich 183 Schafen. Im Durchschnitt verbrachten also um den Faktor 1.8 mehr Schafe den Sommer auf einer der Studienalpen, als auf einer der nicht berücksichtigten Alpen. Letztere waren also tendenziell kleiner.
3. Resultate der Studie
Von den 90’878 gesömmerten Schafen der Studienalpen kamen 1’769 auf der Alp zu Tode, das sind 1.95%. In dieser Zahl inbegriffen sind die Grossraubtierrisse, diese betrugen laut Umfrage 7% der Verluste, das sind 124 Schafe der insgesamt 1’769 Verluste.
Im weiteren ergab die Umfrage, dass gemäss der Bewirtschafter insgesamt 18.2 % der Schafe an Krankheiten, 28.6% an den versicherten Ursachen Blitz/Steinschlag verlustig gingen, und 27.8% durch Absturz bzw. vermisst wurden.
Je grösser die Alp, desto grösser ist der Median der prozentualen Abgänge (Abb. 6, Boxplots auf Seite 17). Grosse Alpen haben also tendenziell mehr Verluste zu verzeichnen, als kleine.
Das zentrale Resultat dieser Studie lautet, Zitat: „Hauptabgangsursache der Abgänge sind aber trotzdem nicht fitte und nicht gesunde aufgetriebene Tiere. Die qualitativen Leitfadeninterviews ergaben, dass es mit durchdachter Alpungsstrategie und rigorosem Gesundheitsmanagement möglich ist, die Abgangsrate schweizweit auf unter 1 Prozent zu senken. Daher müssen die Hauptanstrengungen auf einen verbesserten Gesundheitsstatus der Schafe ausgerichtet sein, um die Abgänge weiter zu reduzieren.“
4. Unsere Review-Bemerkungen zur Studie
4.1 Review Studiendesign
Der Studiendesign weist gravierende Mängel auf. Die Resultate zu den prozentualen Anteilen der Abgangsursachen sind unglaubwürdig. Konkret gesagt ist es unmöglich, die Todesursachen mittels der von den Autoren gewählten subjektiven Methode, sprich Befragung der Alpverantwortlichen, korrekt zu ermitteln.
Die Studienautoren stellen dies auch selber fest. Zitat aus dem Text der Studie dazu: „Da ein Hirt bei der ständigen Behirtung täglich bei den Schafen ist und diese beobachtet, kann davon ausgegangen werden, dass die Abgangsursachen besser erkannt werden als wenn nicht täglich oder nur mit Feldstecher aus der Ferne kontrolliert wird. Findet ein Hirt oder Bewirtschafter, der die Schafe nicht täglich kontrolliert und beobachtet, ein totes Schaf, kann er die Todesursache in vielen Fällen nicht sicher zuordnen. Es ist anzunehmen, dass bei unklarer Todesursache oft ein Elementarschaden (Naturereignis) angenommen wird (siehe Abschnitt 3.4 Versicherung der Schafe bei Abgang auf der Alp).“
Dabei ist auch zu sagen, selbst wenn der Hirte engmaschig kontrolliert und beobachtet: er ist kein Tierarzt, und falls er den Unfall bzw. Tod nicht direkt beobachtet, sondern anhand des toten Tieres Vermutungen anstellen muss, kann davon ausgegangen werden, dass er nicht in der Lage ist, die Todesursache korrekt zu ermitteln. Das könnte, wenn überhaupt, nur ein Tierarzt.
Zudem wurden von den Befragten bevorzugt versicherte Ereignisse als Todesursache genannt, Zitat aus der Studie: „Verschiedene Bewirtschafter von Alpen wie auch Experten weisen darauf hin, dass angenommen werden muss, dass den Versicherungen anstelle von Abgängen, die durch nicht fitte oder kranke Tiere verursacht werden, ein Elementarschaden (Blitz- Steinschlag) angegeben wird, um auch für nicht versicherte Ereignisse Versicherungsleistungen zu beziehen.“
Im weiteren müssten die Abgangszahlen zur Todesursache Krankheit/Alter bereinigt werden. Denn diese Todesursachen treten auch auf den Heimbetrieben auf, hängen also nicht unbedingt mit der Alpung zusammen. Wieviele Schafe auch im Heimbetrieb aufgrund von Krankheit/Alter gestorben wären (also sowieso gestorben wären, ob nun auf der Alp oder im Heimbetrieb), hat die Studie nicht untersucht. Die diesbezüglichen Verluste müssten korrekterweise entsprechend reduziert bzw. bereinigt werden.
Im weiteren ist zu bemerken, dass die teilnehmenden Alpen gegenüber den nicht berücksichtigten durchschnittlich rund 1.8 mal mehr Schafe pro Alp sömmerten, also tendenziell viel grösser waren, als die nicht berücksichtigten. Wie die Studie herausfand, gehen auf grossen Alpen tendenziell mehr Schafe ab, als auf kleinen. Die Studienautoren haben diesbezüglich nicht nachgewiesen, dass ihre Stichprobe repräsentativ ist, und somit von dieser Stichprobe auf die Gesamtheit geschlossen werden kann, also auf die Verlustzahlen schweizweit.
4.2 Review Resultate
Insgesamt kamen auf den 277 Studienalpen 1’769 Schafe zu Tode. Im weiteren starben total 124 Schafe wegen Grossraubtieren. Dazu ist zu sagen, dass die Anzahl vermisster Schafe nach Wolfsattacken je nach Terrain-Eigenschaften zwischen 40 -67% der tot aufgefundenen Tiere beträgt [1,2]. Das bedeutet, dass zu den 124 offiziell erfassten Rissen, noch rund 68 Vermisste kommen. Auch ein Teil der abgestürzten Schafe dürfte auf Wolfsattacken zurückzuführen sein. Damit sind es rund 1’577 tote Schafe, die nicht wegen Grossraubtieren ums Leben kamen. Das sind 1.74% für das Jahr 2011.
Der Verlustanteil zu anderen Ursachen als Grossraubtiere von 1.74% ist zu hoch angesetzt, weil
- er nicht um die unabhängig vom Aufenthaltsort eingetretenen Todesfälle wegen Krankheit/Alter,
- und ebensowenig um die Ursache Abstürze wegen Wolfshetze bereinigt wurde.
- der Prozentsatz auf Daten von Schafalpen basiert, die durchschnittlich 1.8 mehr Tiere alpten, als die nicht untersuchten, im Durchschnitt kleineren Alpen, wo erfahrungsgemäss weniger Schafe abgehen.
Die prozentualen Verlustanteile stimmen auf keinen Fall, weil sie nicht anhand objektiver Methoden ermittelt wurden.
Fazit
Im Jahr 2011 gingen gemäss der Studie 1.95% der aufgetriebenen Schafe auf den untersuchten Alpen verlustig, rund 0.21 % wegen Grossraubtieren (inklusive Anteil Vermisster), und rund 1.74% wegen anderer Ursachen.
Der Prozentsatz 1.74% ist, wie oben dargelegt zu hoch ist. Inzwischen werden nur noch gesunde und fitte Schafe aufgetrieben. Gleichzeitig sterben viel mehr Schafe wegen der Grossraubtierangriffen. Das bedeutet, die prozentualen Verlustanteile haben sich seit 2011 markant verschoben.
Tatsache ist: Dort, wo der Wolf 2011 auftauchte, verursachte er schon damals die grössten Verluste. Das stellt die Studie klar fest (auf Seite 16).
Referenzen
[1] Seim V., (2001 ) Elevage ovin et grands carnivores en Norvège, Rencontre européenne des éleveurs victimes des prédateurs, Nice, 8 septembre 2001, p. 21-25
[2] Bacha, S., Bataille, J.-F., and Garde, L. (2007) Indemnisation des pertes et evaluation des couts reels. In: ‘Loup – Elevage: s’ouvrir a` la complexite ́’. Actes du seminaire des 15 et 16 juin 2006. (Ed. L. Garde.) pp. 150–161.