Einleitung
Im Jahr 2014 publizierte der Jurist Prof. Dr. iur. Rainer Schumacher, aus Kirchdorf bei Baden, einen Text zum Thema „strafloser Abschuss eines Wolfes“, in dem er darlegt, dass der Wolfsabschuss keine Strafe nach sich zieht, wenn der Schütze infolge Notstands handelt. Das Schweizer Strafrecht kennt verschiedene sogenannte Rechtfertigungsgründe. Liegt ein solcher vor, handelt der „Täter“ rechtmässig, und kann nicht bestraft werden. Notstand ist ein solcher Rechtfertigungsgrund. Näheres dazu weiter unten.
Hier der Original-Text von Herrn Schumacher, Zitat:
„Ein Wolf, der sich einer Schafsherde nähert oder in der Nähe einer Siedlung oder gar zwischen Häusern herumstreift, darf sofort ohne Bewilligung straflos abgeschossen werden. Bereits ein einzelnes Schaf, dem nach einem mörderischen Wolfsbiss ein qualvoller Tod droht, ist ein höherwertiges Rechtsgut, zu dessen Rettung der Wolf abgeschossen werden darf. Dies ist eine konkrete und unmittelbar drohende Gefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichts. Diese Gefahr lässt sich nur durch sofortiges Eingreifen, d.h. durch den Abschuss des Wolfes, abwenden. Der Jäger, der von einem Schafzüchter um Notstandshilfe ersucht worden ist, bleibt als Notstandshelfer ebenfalls straflos (BGE 129 IV 14).“
Was bedeutet Notstand ?
Im Schweizer Recht umschreibt Art. 17 StGB (Strafgesetzbuch) den Rechtfertigungsgrund „Rechtfertigender Notstand“ wie folgt:
„Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt.
Gehen wir diese Norm einmal Schritt für Schritt am Beispiel Wolfsabschuss durch:
Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht …
Der Abschuss eines Wolfes ist prinzipiell strafbar. Siehe Jagdgesetz (JSG) Art. 17. Es ist ein Vergehen, das gemäss Art. 17 JSG wie folgt geahndet wird:
Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich und ohne Berechtigung: a. Tiere jagdbarer und geschützter Arten jagt oder tötet sowie Tiere geschützter Arten einfängt, gefangen hält oder sich aneignet;
Zurück zum Notstand:
… um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person …
Rechtsgüter sind gemäss Schweizerischen Recht beispielsweise das Leben, die körperliche Unversehrtheit, oder das Eigentum. Der Wolf gefährdet das Eigentum „Weidetier“. Das Weidetier kann einem selber gehören, oder einer anderen Person. Das heisst, ein Hirte oder anwesender Jäger, darf ebenfalls im Notstand handeln.
Zitat Schumacher: „… Zum Eigentum eines Menschen können auch Nutztiere wie Schafe, Ziegen, Hunde usw. gehören. Das Eigentum ist gewährleistet (Art. 26 Abs. 1 BV). Die Tiere geniessen einen besonderen Rechtsschutz (Art. 78 Abs. 4 und Art. 80 BV; Art. 641a ZGB usw…Nutztiere sind gegenüber dem Wolf höherwertige Rechtsgüter jeder einzelnen Person.“
… aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten …
Zitat Schumacher: „Notstand (Art. 17 StGB) setzt hingegen nur, aber immerhin, eine unmittelbare, nicht anders abwendbare Gefahr und nicht einen bereits begonnenen Angriff voraus. … Eine blosse Gefahr eines Angriffs genügt.“
Schumacher ist also der Ansicht, dass man sofort auf den Wolf schiessen kann, die Gefahr des Angriffs rechtfertigt dies. Ein Jäger in Deutschland, dessen Hunde von einem Wolf attackiert wurden, gab zuerst einen Warnschuss ab, bevor er den davon unbeeindruckten Wolf erlegte. Siehe hier.
Ein Rechtsgutachten, das der Bauernverein Surselva im Jahr 2021 in Auftrag gegeben hat, ist folgender Auffassung, Zitat: „Bei einer unmittelbaren Gefahr von Leib und Leben oder Eigentum durch ein Raubtier sind rasche Entscheidungen gefragt und m.E. deshalb keine allzu strengen Anforderungen an dieses Kriterium der Subsidiarität eines Abschusses zu stellen..“
… handelt rechtmässig …
Das ist der zentrale Punkt dieser Norm. Und bedeutet: der Schütze kann nicht bestraft werden.
… wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt.
Ein „höherwertiges Interesse“ ist gemäss Schumacher, Zitat: „Die Tiere geniessen einen besonderen Rechtsschutz (Art. 78 Abs. 4 und Art. 80 BV; Art. 641a ZGB usw. …. Nutztiere sind gegenüber dem Wolf höherwertige Rechtsgüter jeder einzelnen Person.“
Zitat Schumacher: „Wölfe sind herrenlose Sachen, wenn sie seit ihrer Geburt in der Wildnis (= freie Natur) leben, und auch, wenn sie entweder von Menschen in der Wildnis ausgesetzt worden sind oder wenn sie ihren früheren Eigentümern definitiv (gemäss Art. 719 Abs. 1 oder Abs. 2 ZGB) entlaufen sind. An solchen Wölfen besteht kein Eigentum irgendeiner Person, auch nicht einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (Bund, Kantone, Gemeinden usw.).“
Das obenerwähnte Rechtsgutachten des Bauernvereins Surselva ist derselben Auffassung wie Schumacher, Zitat: „… Zu letzterer Voraussetzung (höherwertiges Interesse, Anm. der Red.) ist zu bemerken, dass Leib und Leben des Menschen sowie sein Eigentum (inkl. Nutztiere) durch Grundrechte der Bundesverfassung geschützt sind und damit zum vornherein höherwertig zu qualifizieren sind als ein herrenloses Tier wie der Wolf.“
Das bedeutet: das Eigentum „Weidetier“ (Lamm, Geiss, Kalb etc.), stellt ein höherwertiges Interesse dar, als das Wildtier Wolf. Es genügt bereits, wenn ein einziges Weidetier in Gefahr ist, also zB ein Lamm oder ein Gitzi. Die perversen Regeln der Jagdverordnung (zum Beispiel 10 Schafsleben = 1 Wolfsleben) gelten ausschliesslich im Zusammenhang mit einer Abschussverfügung.
Ist Herdenschutz eine Voraussetzung, dass geschossen werden darf?
Nein. Zitat Schumacher: „Art. 17 StGB vermag trotz unterlassener Schutzmassahmen von Strafe zu befreien … Rechtsrelevant ist jedoch einzig der Umstand, dass Art. 17 StGB trotz selbstverschuldetem Notstand anwendbar ist und somit die Rechtfertigung nicht von der Durchführung von zumutbaren präventiven Massnahmen abhängig macht … Das Eigentum ist gewährleistet (Art. 26 Abs. 1 BV). Diese Grundrechte dürfen nicht zugunsten von Grossraubtieren (Wolf und drgl.) eingeschränkt werden.“
Wie weiter?
Die sogenannten Wolfsexperten, die sich regelmässig in der Öffentlichkeit aufspielen, haben keine geeignete Qualifikation, um sich zum Thema Notstand und Wolfsabschuss zu äussern. Das hindert sie natürlich nicht daran, wie üblich falsche Behauptungen in die Welt zu setzen, indem sie einen solchen Abschuss für nicht straffrei erklären. Ziel solcher Unwahrheiten ist es nur, die Weidetierhalter einzuschüchtern, damit sie von ihrem Notstandsrecht nicht Gebrauch machen.
Aktuell
In Facebook wird aktuell darüber berichtet, dass mehrere Wölfe des Stagias-Rudels Schafe in einer Weide attackierten und töteten, und danach sogar ein oder mehrere Wölfe im eingezäunten Bereich gemütlich verweilten. Wenn diese Wölfe in flagranti bei der Jagd auf die Schafe erwischt werden, wäre das so eine Notstandsituation. Auch der Mutterkuhhalter in der Surselva, der Anfang Oktober 2021 mit einem Gewehrschuss einen Wolfsangriff vereitelte, bleibt straffrei. Das ist absolut klar.
Nachtrag 3.2.2023
Kürzlich erreichte uns ein Kommentar zum Thema unerlaubter Waffenbesitz und Gebrauch, und wie es denn damit stehen würde im Zusammenhang mit dem Wolfsabschuss in einer Notstandsituation.
Der Waffenbesitz ist im Schweizer Waffengesetz (WG) geregelt. Um eine Waffe bzw. Munition legal zu erwerben, benötigt man einen Waffenerwerbsschein (siehe Art. 8 WG). Mit einer legal erworbenen Waffe darf man im Notstand auf den Wolf schiessen, jedoch dürfen dadurch keine Menschen gefährdet werden. Als Beispiel ist der Fall aus Graubünden zu nennen, wo ein Bauer zur Verteidigung seiner Kühe in Hofnähe auf den Wolf geschossen hat. Nach unserem Kenntnisstand wurde kein Strafverfahren gegen den Schützen eröffnet. Natürlich muss belegbar sein, wo, wann bzw. in welcher Notstandsituation geschossen wurde.
Leider fehlt vielen der Mut dazu,ich jedenfalls werde meine Tiere mit der Waffe beschützen…